Hilde Sirrenberg
Alter: 93 Jahre
Keine Auslandserfahrung, geboren in meinem jetzigen Wohnhaus
Beruf: Hausfrau
Aktuelle Tätigkeit: Rentnerin
Brigitte Sirrenberg-Müller
Alter: 63 Jahre
Auslandserfahrung: Urlaubsreisen innerhalb Europas
Beruf / aktuelle Tätigkeit: Beamtin der Stadt Solingen
Vor 34 Jahren kamen wir eher zufällig mit einer Gruppe Migranten aus Sri Lanka in Kontakt, die in unsere Nachbarschaft einquartiert worden waren. In Gesprächen wurde uns bewusst, in welch schwieriger Situation sie sich befanden. Vor ca. 30 Jahren waren Englischkenntnisse in der deutschen Bevölkerung noch nicht so verbreitet wie heute. Deutschkenntnisse waren bei den vor Krieg und Verfolgung überstürzt geflohenen und nur zufällig in Deutschland gelandeten ersten Migranten überhaupt nicht vorhanden.
Sie mussten von der staatlichen Unterstützung leben. Es war ihnen von behördlicher Seite nicht erlaubt zu arbeiten oder nur in benachbarten Städten Freunde zu besuchen.
Deutsche Sprachkurse gab es nur vereinzelt und wenn, mussten sie privat bezahlt werden. Die zugewiesenen Unterkünfte waren meistens provisorisch und oft in einem optimierungsfähigen Zustand (z.B. Waschmöglichkeiten nur mit kaltem Wasser). Der lebensnotwendige Umgang mit deutschen Behörden war aufgrund der Sprach- und auch der Kulturbarriere schwierig und oft nur mit Hilfe von außen zu bewältigen.
Wir hatten damals die Chance, durch die Vermittlung erster Deutschkenntnisse und Erläuterung der in Deutschland selbstverständlichen Abläufe bei Behörden oder im täglichen Leben die Integration dieser kleinen Gruppe von Migranten zu unterstützen. Hieraus entwickelte sich eine besondere Freundschaft zu einem der Neuankömmlinge, Herrn Kanapathipillai Rajendram. Im Laufe der Jahre nahmen die Lebenswege der Einzelnen natürlich einen unterschiedlichen Verlauf, aber die Freundschaft zu diesem Mitglied der damaligen Gruppe ist geblieben und gewachsen. Spätestens nachdem Herr Rajendram eine Familie gegründet hatte und seine wie auch unsere Kinder wie Geschwister aufgewachsen sind (und sich auch so empfinden), ist in diesem speziellen Fall aus einer ehemals zufälligen und auf beiden Seiten ungewollten Nachbarschaft erst eine Freundschaft und dann eine Familie erwachsen, die selbstverständlich alle Feste miteinander feiert und sich bei Bedarf ohne Fragen wechselseitig unterstützt.
Wie wichtig diese erste Begegnung vor 34 Jahren für unser weiteres Leben sein würde, haben wir in den ersten Gesprächen nicht geahnt. Die Entwicklung war allmählich und spielte sich für uns unbemerkt ab. Erst in der nachträglichen Reflexion wurde uns bewusst, wie viel Glück und Zugewinn wir durch den Einblick in andere Kulturen und nicht zuletzt durch diese guten Freunde an unserer Seite erfahren haben, die wir nicht missen möchten.
Kanapathipillai Rajendram
Alter: 57 Jahre
Herkunft: Sri Lanka
Ankunft in Deutschland: August 1986
Erlernter Beruf: Mitarbeiter in einer Salzfabrik (Meersalz)
Aktuelle Tätigkeit: Lagerarbeiter bei der GEPA in Wuppertal
Jeyamathy Rajendram, geb. Arumugam
Alter: 52 Jahre
Herkunft: Sri Lanka
Ankunft in Deutschland: April 1991
Erlernter Beruf: Grundschullehrerin (fächerübergreifend)
Aktuelle Tätigkeit: Mitarbeiterin in der Gastronomie (IGM Bildungszentrum Sprockhövel) sowie Lehrkraft für tamilisch-muttersprachlichen Unterricht in der 1991 von mir mitgegründeten tamilischen Samstagsschule in Haßlinghausen (in der Grundschule Hobeuken)
Nils Rajendram
Alter: 25 Jahre
Geburtsort: Hattingen-Blankenstein
Aktuelle Tätigkeit: Student der Wirtschaftswissenschaften
Seit 1972 herrschte in Sri Lanka Bürgerkrieg. Die Situation spitzte sich immer mehr zu und viele junge Menschen flohen aus Angst vor Folter und Verschleppung.
Auch ich, Kanapathipillai Rajendram, floh 1986 24-jährig, da ich bereits einmal gefangen genommen und gefoltert worden war, aber fliehen konnte. Jetzt blieb mir keine Alternative als schnellstens ins Ausland zu fliehen, egal wohin, um mein Leben zu retten. Meine Ankunft in Deutschland war reiner Zufall.
Hier taten sich für mich viele Probleme auf. Ich konnte kein Deutsch sprechen oder verstehen. Die Kultur und die verschiedensten bürokratischen Abläufe, mit denen ich zu tun bekam, waren mir fremd. Mir war als junger und tatkräftiger Mensch vorerst verboten zu arbeiten.
Bei einem Spaziergang lernte ich Herrn Sirrenberg und seine Familie kennen. Hieraus entwickelte sich durch wechselseitige Unterstützung (auf der einen Seite Hilfe bei Behördengängen und Sprachunterricht, auf der anderen Seite Hilfe im Garten) eine intensive Freundschaft. 1988 konnte ich mir ein Mofa kaufen und jetzt nach anfänglichen Schwierigkeiten eine Arbeit aufnehmen. 1989 machte ich einen Führerschein und 1990 konnte ich mir durch Fleiß ein erstes Auto kaufen.
In Sri Lanka spitzte sich die Situation weiter zu. Meine langjährige Freundin aus Kinder- und Jugendtagen war nach dem gewaltsamen Tod ihres Vaters jetzt auch in den Fokus der Soldaten gerückt und musste fliehen, wenn sie ihr Leben retten wollte. Sie nahm Kontakt mit mir auf und wollte nach Deutschland kommen. Sie kam am 01.04.1991 in Deutschland an und wurde in einer Flüchtlingsunterkunft in Gevelsberg untergebracht. Hier fand auch das erste Wiedersehen statt.
Wir haben 1992 geheiratet und inzwischen zwei erwachsene Söhne. Der eine hat sein Studium bereits erfolgreich abgeschlossen, der andere studiert im Moment noch. Ehrenamtlich ist meine Frau seit 28 Jahren in der AWO aktiv. 1991 war sie Gründungsmitglied der tamilischen Samstagsschule in Haßlinghausen. Dort ist sie seit dem ersten Tag als Lehrkraft aktiv und unterrichtet tamilische Migrant*innenkinder in ihrer Muttersprache, Kultur und Heimatkunde.
Inzwischen besitzen wir Eigentum in Sprockhövel, sind in verschiedensten Vereinen aktiv und empfinden Sprockhövel als unsere zweite Heimat.