Guillaume M.
Alter: 47 Jahre
Herkunft: Burundi
Ankunft in Deutschland: 1988
Beruf/aktuelle Tätigkeit: examinierter Altenpfleger
Ich bin nach Deutschland gekommen und geblieben, weil ich in einem Land leben wollte, in dem man die Menschenwürde respektiert und um mir dort eine Zukunft aufzubauen.
Ich bin von Nairobi, Kenia, nach Frankfurt geflogen. Verloren in dieser großen Stadt, traf ich am Frankfurter Hbf einen Mann. Er saß in einem Rollstuhl und neben ihm stand sein Begleiter. Der Mann im Rollstuhl war Afrikaner und der Begleiter Deutscher. Ich fragte den Mann im Rollstuhl, ob er einen Ort in der Stadt kennt, wo ich viele Afrikaner treffen könnte. Statt mir solch einen Ort zu zeigen, sprach er paar Minuten auf Deutsch mit seinem Begleiter.
Der Mann erklärte mir, dass es in meiner Situation besser wäre, in ein Aufnahmezentrum zu gehen und mich dort anzumelden. Dort würde ich Hilfe bekommen. Er könne mich selber nicht mitnehmen, da er mich nicht kenne, er werde mir eine Adresse geben. Kurz danach reichte mir der Begleiter einen Fahrplan und sprach mit dem Afrikaner. Der Afrikaner gab mir 20 D-Mark und bat mich, seinem Begleiter zu folgen. Der kaufte eine Fahrkarte für mich und sagte mir, dass es hier sehr wichtig sei, mit gültiger Fahrkarte zu fahren, sonst sei man schnell in Schwierigkeit. Anschließend gab er mir seine Telefonnummer, weil er erfahren wolle, wie sich meine Situation entwickelt, und drückte mir die Daumen.
In der Erstaufnahme befragte man mich über meine Herkunft, gab mir einen Fahrplan und eine Fahrkarte für die Ausländerbehörde in Dortmund. Von dort wurde ich in ein Flüchtlingslager gebracht. Ich war ca. 2 Tage in dem Lager. Im Laufe dieser Zeit wurde ich zum Interview gebracht. Danach brachte die Ausländerbehörde mich in ein anderes Flüchtlingslager in Dortmund. Ich verbrachte dort ca. 3 Monate. Diese 3 Monate waren nicht leicht. Es war ein großes Lager, eine alte Soldatenkaserne. Die Flüchtlinge aus den unterschiedlichen Ländern konnten sich melden, um zu arbeiten. So konnte man etwas Taschengeld verdienen. Schnell schloss ich dort Freundschaft mit Leuten aus Afrika, Kuba und Osteuropa. Da ich Haare schneiden konnte, meldete ich mich als Frisör. Durch diesen Minijob war es mir möglich, mehr Leute kennen zu lernen, vor allem Afrikaner. Nach ca. 1 Monat kam per Post die Ablehnung meines Asylantrags. Mit Hilfe der afrikanischen Freunde im Flüchtlingslager fand ich einen Anwalt aus Münster, der ohne Erfolg versuchte, mir zu helfen. Inzwischen wollte mich die Behörde nach Burundi ausweisen. So wurde ich in die Burundische Botschaft gebracht, um mich zu identifizieren, ein Reisedokument zu beschaffen und anschließend nach Burundi auszuweisen. Das hat nicht geklappt. Da die Behörde mich unbedingt nach Afrika ausweisen wollten, wurde ich in unterschiedlichen afrikanischen Botschaften vorgestellt, ohne Erfolg. Nach 3 Monaten im Flüchtlingslager wurde ich von der Behörde nach Sprockhövel gebracht und dort angemeldet.
Ich wurde in einem 4-Personenzimmer mit Etagenbetten untergebracht. Es waren 3 Afrikaner, einer von ihnen war aus Algerien. Sie waren mit sich selber beschäftigt. Wir haben uns sehr wenig gesehen. Schnell wurde mir klar, dass ich nichts tun konnte, als essen und schlafen. Ich durfte nicht zur Schule, nicht arbeiten und mich nicht frei bewegen. Ich durfte mit meiner Duldung den angegebenen Bereich nicht verlassen. Falls ich außerhalb dieses Bereichs erwischt worden wäre, wäre ich mit einem Bußgeld bestraft worden. Meine Bewegungsfreiheit war eingeschränkt. Mit dem Mann aus Frankfurt hatte ich wieder telefonischen Kontakt und so wusste er die ganze Zeit, wie es mir ging. Er ist mit der Zeit wie ein großer Bruder geworden.
Ich habe mich irgendwann bei der Stadt angemeldet, um einen Minijob zu bekommen. Es war gemeinnützige Arbeit, die ich mit ein paar anderen Afrikanern gemacht habe. Wir haben viel handwerklich in Häusern gearbeitet, in denen Flüchtlinge, Aussiedler und Sozialhilfeempfänger wohnten. So konnte ich mir etwas Taschengeld verdienen. Aber so wollte ich nicht leben. Ich konnte kein Deutsch sprechen, dadurch war das tägliche Leben nicht lustig, ich hatte keinen Kontakt mit den Deutschen. So entschied ich mich, Deutsch zu lernen, erst autodidaktisch zu Hause, aber es hat nicht viel gebracht.
Als ich Afrika verließ, war eigentlich England mein Ziel. In Deutschland wurde mir klar, dass es nicht einfach war, von Deutschland nach England auszureisen, da ich keine Reisedokumente hatte. Aber ich gab nicht auf und in 1999 verließ ich Sprockhövel, um in um in Hamburg zu leben, ohne dass ich für diese Stadt eine Aufenthaltserlaubnis hatte. Ich hatte die Hoffnung, dort etwas Geld zu machen und von dort nach London gehen zu können. Leider wurde ich nach ca. 1 Jahr in einer Polizeikontrolle erwischt und kam in Abschiebehaft, zuerst nach Hamburg, dann nach Büren. In der Abschiebehaft in Büren habe ich erstmals einen Deutsch-Sprachkurs besucht und mein Englisch durch regelmäßige Unterhaltung mit Afrikanern, die nur Englisch sprachen, verbessert. Meine Erfahrungen dort waren nicht leicht, aber eine gute Lehre.
Mit Hilfe eines Anwalts hätte ich frei gelassen werden können. Er wollte, dass ich dann Deutschland verlasse, was ich ablehnte. In der Abschiebehaft konnte ich arbeiten. Für mich war es eine Möglichkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen, mit ihnen zu sprechen, mich auszutauschen.
Als ich entlassen wurde, wusste ich nicht, was ich aus meinem Leben machen sollte. Ich kam in eine depressive Phase, in deren Folge eine hochgradige Schlafapnoe bei mir diagnostiziert wurde und ich musste 7 Jahre lang mit einem CPAP-Gerät schlafen. Die Schwierigkeiten der Therapie am Anfang führten mich in eine Selbsthilfegruppe für Schlafapnoe in Hagen. Zu dieser Zeit hatte ich mich in der VHS angemeldet, um weiter Deutsch zu lernen. Ende des Jahres 2000 meldete mich nochmal freiwillig zur gemeinnützigen Arbeit für das Sozialamt Sprockhövel (1-Euro-Job).
Ich entschied mich, eine Selbsthilfegruppe über Schlafapnoe im EN-Kreis zu gründen. Das geschah mit Hilfe von Frau Auferkorte, Leitung bei der KISS Gevelsberg. Dadurch kam ich in Kontakt mit anderen Selbsthilfegruppen. 2004 begegnete ich während eines gemeinsamen Treffens der Selbsthilfegruppen Frau Grebe von der FAN (Freiwillige Alten- und Nachbarschaftshilfe im DPWV). Sie stellte das Projekt vor. Ich sprach am Ende des Treffens mit ihr darüber. So bekam ich ein paar Fortbildungen über das Krankheitsbild und den Umgang mit Senioren mit Demenz, die ich bald betreute. Ich betreute maximal 3 Senioren. Das hat mir echt viel Freude und Spaß gemacht. Sie haben sich jedes Mal gefreut, mich wieder zu sehen und die Zeit mit mir zu genießen. Es war auch für mich eine gute Möglichkeit, mein Deutsch zu verbessern und viel über die deutsche Kultur zu lernen. Ich war gleichzeitig für die Selbsthilfegruppe weiter aktiv, wie z.B. für die Vorbereitung unseres Stands für die Gesundheitsmesse.
2005 schlug mir ein Beamter der Stadt Sprockhövel vor, eine weiterführende Schule zu besuchen, um das Abitur zu machen und danach Sozialpädagogik zu studieren, weil er in mir diese Potenziale sah. Von 2005 bis 2008 besuchte ich das Ottilie-Schoenewald-Weiterbildungskolleg der Stadt Bochum und machte dort meinen Realschulabschluss. Anschließend versuchte ich, mein Fachabitur zu absolvieren, leider ohne Abschluss. Im April 2009 machte ich auf Empfehlung des Leiters der FAN ein 3-wöchiges Praktikum in einem Seniorenheim in Schwelm. Dieses Praktikum sollte mir zeigen, ob der Pflegeberuf etwas für mich sein könnte. Herr Kern sagte mir, dass er sich mich als guten Pfleger vorstellen könnte. So machte ich dieses Praktikum sogar in 2 Bereichen, im Sozialdienst und in der Pflege. Ich habe in den 3 Wochen eine Menge Spaß gehabt mit den Senioren. So habe ich mich entschieden, diese Ausbildung zu machen.
Inzwischen konnten Flüchtlinge, die über 10 Jahre in Deutschland lebten, ein Bleiberecht und eine Arbeitserlaubnis beantragen. Ich bekam die Unterstützung eines deutschen Freundes und seiner Frau bei der Antragstellung. Die Frau dieses Freundes begleitete mich jedes Mal zu den Gesprächen in der Ausländerbehörde. Es war echt schwierig, weil ich keinen Reisepass vorlegen konnte. Ich hatte mich darum bemüht, war in der Botschaft in Berlin, versuchte es mit einer deutschen Hilfsorganisation und auch mit der Kirche, ohne Erfolg.
Ich hatte, zusammen mit vielen anderen Ehrenamtlichen, schon zum zweiten Mal eine Einladung vom Landrat, Herrn Armin Brux, bekommen, der uns jedes Jahr für unsere ehrenamtliche Arbeit dankte. Das erzählte ich meinem Freund. Seine Frau vereinbarte über das Sekretariat des Landrats einen Termin. An dem Gespräch nahmen ich, der Landrat, Caro, Frau Grebe von der FAN und der für mich zuständige Beamte der Ausländerbehörde teil. Ich hatte alle Unterlagen über meine gesamten Aktivitäten in Deutschland mit. Der Landrat hatte schon über den Fall mit dem zuständigen Beamten gesprochen und schaute kurz in die Unterlagen. Er bezeichnete mich als Integrationsbeispiel und war bereit, mir wegen meines Sozialengagements und meiner Integration zu helfen, ein Bleiberecht in Deutschland zu bekommen. Er hatte schon überprüfen lassen, ob ich kriminelle Taten begangen hatte. Da das nicht der Fall war, bekam ich nach ein paar Wochen das Bleiberecht. Er wollte auch, dass ich meine Ausbildung in der Pflege absolviere.
2009 fing ich meine Ausbildung zum staatlich anerkannten Altenpflegehelfer und zusätzlich zur Betreuungskraft in Pflegeheimen am Fachseminar für Altenpflege bei der AWO in Gevelsberg an. Anschließend machte ich bis 2012 meine Ausbildung zum examinierten Altenpfleger, immer am Fachseminar für Altenpflege der AWO und im Mathias-Claudius-Haus. Bis heute arbeite ich dort.
Ich fühle mich geborgen hier in Sprockhövel, besonders in Haßlinghausen. Ich habe irgendwann in Haßlinghausen einen sympathischen Menschen kennengelernt, der hier aufgewachsen und auch in meinem Alter ist. Er hat mir die Möglichkeit gegeben, viele Haßlinghauser kennen zu lernen. Durch ihn habe ich Oli und Caro kennengelernt. Sie haben mich sehr unterstützt. Ich war viele Jahre in der Kirmesgruppe Mühlenhämmer und habe paar Jahre bei der TUS-Haßlinghausen die Minis trainiert. Es macht mir Spaß, mit meinen Mitmenschen zusammen zu leben und schöne Momente zusammen zu teilen. Ich fühle mich schon lange nicht mehr fremd hier in Deutschland. Ich war in vielen Städten in Deutschland und überall, wo ich war, kam ich immer klar oder fühlte mich zu Hause. Ich denke, dass es an der Sprache liegt, die ich gelernt habe und gerne spreche, sowie an der Kultur, die ich mit Hilfe meiner deutschen Freunde kennengelernt habe.
In Haßlinghausen begegnete ich einem Jungen. Er hatte noch nie Kontakt mit einem dunklen Menschen gehabt. Ich war mit Leuten zusammen, die er gut kannte. Wir verbrachten viel Zeit zusammen und daher hatte er Zeit, mich besser kennen zu lernen. Irgendwann teilte er mir mit, dass er immer gedacht hatte, dass die dunklen Leute böse sind. Er hatte das von seiner Oma, die ihn großgezogen hatte. Mit mir hatte er das Gegenteil erlebt. Seit diesem Tag grüßt er mich und unterhält er sich gerne mit mir. Ich wünsche mir, dass die Deutschen sich den Flüchtlingen nähern, denn auch sie sind Menschen mit gesundem Verstand. Ich wünsche mir auch, dass die Flüchtlinge, die hierherkommen, danach streben, sich zu integrieren. Das macht das Leben viel leichter und interessanter. Die Integration der Flüchtlinge heute ist nicht zu vergleichen mit damals, vor 22 Jahren. Ich durfte damals nicht zur Schule, heute kommt der Sprachkurs an erster Stelle. Ich bitte jeden Flüchtling oder Ausländer, sich intensiv mit der deutschen Sprache zu beschäftigen. Die Sprachkenntnis ist ein Schlüssel für viele Tore.
Ich möchte mich gerne bei allen bedanken, die mich auf diesem Weg unterstützt haben.