Behind the picture

Akhmad Muzafarov

Porträt von Akhmad Muzafarov mit seiner Frau Rafoatkhon AsoevaAkhmad Muzafarov

 

Alter: 42 Jahre
Herkunft: Tadschikistan
Ankunft in Deutschland: 2016
Erlernter Beruf:
Bachelor in Orientalistik: Vergleichendes Studium der Religionen und Mystik, sowie Diplomabschluss in Geschichte und Master-Studium in Politikwissenschaften: Internationale Beziehungen (letzteres ohne Abschluss)

Zunächst Beamter (Stellvertretender Abteilungsleiter) in der Abteilung für Internationale Beziehungen des Sportministeriums Tadschikistans, danach vorrangig im Im- und Export in der Textilbranche in Russland tätig, anschließend als Immobilienkaufmann in den Vereinigten Arabischen Emiraten und zuletzt dort selbstständig im Exportbereich der Automobilbranche

Aktuelle Tätigkeit: Ausbildung zum Immobilienkaufmann (3. Ausbildungsjahr) bei der Firma Frank Müller Immobilien in Wuppertal

 

Niemand flieht freiwillig. Immer mehr Menschen werden weltweit vertrieben und fliehen vor Gewalt, staatlicher Verfolgung, Kriegen oder Diskriminierung. Meine Familie und ich sind im Jahr 2016 aufgrund politischer Verfolgung nach Deutschland geflohen. Denn bei uns in Tadschikistan herrschen seit 2015 Oppositionsverbot und Repressionen.

Die Fluchterfahrungen werden wir nie vergessen. Das waren für uns die schwärzesten Tage unseres bisherigen Lebens. Wir standen alle unter Schock. Meine Frau war im 7. Monat schwanger und durfte aus gesundheitlichen Gründen eigentlich nicht reisen oder fliegen. Das Risiko war zu hoch, aber wir hatten nur wenige Tage Zeit, um das Land zu verlassen und einen sicheren Ort zu finden. Die Kinder mussten sich von ihren Freunden in der Schule bzw. Kindergarten trennen. Wir hatten keine andere Wahl, als unsere Wohnung, die Autos, alle Gegenstände und das Unternehmen, das ich über Jahre aufgebaut hatte, zu verlassen. Mit jeder Stunde wuchs der Zeitdruck.

Wir haben uns dann für Deutschland entschieden und sind schnellstmöglich aufgebrochen. Zunächst ging es nach Frankfurt, wo wir bei der Ankunft am Frankfurter Flughafen einen Antrag auf Asyl gestellt haben. Wegen des zunehmenden Stresses und der Flugdauer ging es meiner Frau und dem ungeborenen Baby sehr schlecht. Unser älterer Sohn und unsere Tochter waren traumatisiert, weil sie alles mitbekommen und miterlebt haben. Für mich waren die Tage katastrophal, weil ich als Vater nichts machen oder ändern konnte. Mir war aber klar, dass man für seine Freiheit und Sicherheit kämpfen muss, weil es, wie Siegmund Freud gesagt hat, die Annahme einer großen Verantwortung ist. Deswegen haben wir nie aufgegeben und unsere Hoffnung stirbt nie!

Ich habe in Deutschland tatsächlich viele positiven Erfahrungen gemacht – vielleicht, weil ich versucht habe, mich den neuen Bedingungen maximal und schnell anzupassen. Ich habe in verschiedenen Ländern gelebt und bin mit unterschiedlichen Kulturen und Mentalitäten in Kontakt gekommen. Ich muss aber betonen, dass Ordnung, Fleiß und Pünktlichkeit typisch deutsch sind. Mit dem Deutschlernen habe ich bereits in der Erstaufnahmeeinrichtung angefangen, um schnellstmöglich die Sprache zu beherrschen und mit den Leuten hier frei kommunizieren zu können. In Sprockhövel habe ich bei den Ehrenamtlichen der Flüchtlingshilfe verschiedene Deutschkurse besucht. Es war damals so, dass nur Angehörige bestimmter Länder Anspruch auf einen offiziellen Integrationskurs hatten, andere, so wie wir, nicht. Unser Deutschkurs fand meistens im Hauskeller bei Frau Venn statt. Ich bin immer noch dabei, meine Sprachkenntnisse zu erweitern und habe bereits das C1-Niveau im Deutschen erreicht.  Für mich, als jemand, der Geschichte studiert hat, sind die Lebensart und -weise, die Mentalität und Denkweise sowie das Schicksal der Deutschen sehr interessant. Daher freue ich mich, dass ich montags nach der Arbeit zu Dr. Jochen Pleines gehen darf, wo ich sowohl die deutsche Sprache als auch Vieles über die Geschichte und Kultur der Deutschen lerne. Ich habe festgestellt, dass die Integration in eine neue Gesellschaft am besten gelingt, wenn man direkt Kontakt zu einheimischen Leuten, den Nachbarn, Kolleg*innen usw. hat, die vielleicht sogar zu Freunden werden. Das funktioniert nur, wenn man die Sprache gut beherrscht.  Durch den Kontakt mit den Kolleg*innen im Unternehmen, ehrenamtlichen Leuten der Flüchtlingshilfe, Mitschüler*innen in der Berufsschule und Mitgliedern im Sportverein u.v.m. habe ich mich an das Klima, die Sprache, die Kultur und die Einstellungen der Menschen gewöhnt und ich bin dabei, in meiner neuen Heimat mehr Leute kennenzulernen und meinen Freundeskreis zu vergrößern. Ich versuche, hier die Herausforderungen anzunehmen und als Chance zu nutzen, um meine persönlichen Ziele zu erreichen.

In Sprockhövel gibt es mit der Flüchtlingshilfe Sprockhövel eine starke Bürgerinitiative. Wegen ihrer Arbeit herrscht hier ein sehr positives Integrationsklima. Die Flüchtlingshilfe Sprockhövel sorgt durch ihre Integrationsangebote dafür, dass die Integration der neuzugewanderten Menschen in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt leichter funktioniert. Selbstverständlich muss so ein bürgerschaftliches Engagement Anerkennung und Würdigung verdienen.

Ich hatte vor 2 Jahren die Möglichkeit, wegen meiner Arbeit nach Wuppertal umzuziehen. Mein Arbeitgeber hat sich engagiert und hat mich unterstützt, alle Genehmigungen dafür zu erhalten. Ich habe zwar in der Nähe von unserem Büro in Wuppertal eine Wohnung gefunden, aber wir haben uns doch für Sprockhövel entschieden und sind hiergeblieben. Am Anfang haben wir mithilfe unserer Patin, Frau Beate Vohwinkel gekämpft, aus den Containern in Merklinghausen, wo wir ca. 4 Monate gewohnt haben, auszuziehen. Danach haben Frau Venn und Frau Leute (alle von der Flüchtlingshilfe Sprockhövel) uns geholfen, eine Wohnung anmieten zu dürfen.

Wir haben im Großen und Ganzen in Sprockhövel viele nette Leute kennengelernt. Die Kinder haben sich schnell integriert und haben viele Freunde gewonnen. Meine Frau lernt zurzeit intensiv Deutsch und plant, bald auch eine Ausbildung zu machen. Wir haben eine schöne Wohnung gemietet und haben nette Nachbarn. In Sprockhövel fühlen wir uns frei, sicher und wohl und dies sind für mich die wichtigsten Aspekte des Lebens.

Jedoch: „Nichts ist so alt wie der Erfolg von gestern!“ (Freddy Quinn)

Alles was ich erreicht habe, ist nun weg – bis auf meine Fähigkeiten, mein Wissen, meine gesammelten Erfahrungen und meine Flexibilität. Es muss einfach weitergehen und neue Türen müssen geöffnet werden. Meine Familie und ich hätten wie zuvor ein schönes Leben sowohl in unserem Heimatland als auch in Dubai haben können, wenn wir nur die diktierten Bedingungen akzeptiert und vor vielen Ungerechtigkeiten die Augen verschlossen hätten. Aber in der Diktatur werden einem die Freiheit, Sicherheit und Menschenwürde genommen – und wir können uns unser Leben ohne Freiheit nicht vorstellen.

Ich hoffe, dass wir hier eine Zukunft ohne Gewalt, Wut, Angst, Diskriminierung und Enttäuschungen haben werden. Unsere Kinder sind unsere Zukunft, deswegen geben wir uns viel Mühe, um die Zukunft zusammen aufbauen zu können.

Bereits in der Asylunterkunft in Bielefeld, wo wir zuerst untergekommen waren, habe ich mich engagiert, anderen Menschen als Übersetzer zu helfen. Ich konnte damals kein Deutsch, deswegen habe ich versucht von Persisch, Russisch und Arabisch ins Englische zu übersetzen. Zudem ist es mir gelungen, dort eine Bibliothek mit hunderten Büchern in den gegebenen Räumlichkeiten für die Geflüchteten einzurichten.

In Sprockhövel sind meine Mutter, meine Frau und ich Mitglieder im Förderverein der Flüchtlingshilfe Sprockhövel. Ich helfe weiterhin gern bei Übersetzungsarbeiten, diesmal aber von allen oben genannten Sprachen ins Deutsche. Außerdem bin ich auch bei der Transportgruppe dabei.

Meiner Meinung nach bereichern Migration und Vielfalt Deutschland sowohl kulturell als auch wirtschaftlich. Durch den Aufenthalt in mehreren Ländern und Gesellschaften bin ich mehr oder weniger ein „Kosmopolit“ geworden. Man kann die Kultur nur kennenlernen und mitwirken, wenn man mittendrin ist. Ich sehe Deutschland als ein weltoffenes, vom Pluralismus der Lebensstile geprägtes Land. Dementsprechend kann hier Integration auf jeden Fall gelingen.

Ich wünsche mir, dass ich in dieser Gesellschaft durch gegenseitige Auseinandersetzung und Kommunikation mit den Einheimischen Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung erreichen und auch einen gesellschaftlichen Beitrag leisten kann. Ich bin der Überzeugung, dass alles im Leben ein Geben und Nehmen ist.

Für meine Familie und mich wünsche ich mir Gesundheit, Glück und Anerkennung.

Wie der berühmte deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe gesagt hat: Das Außerordentliche geschieht nicht auf glattem, gewöhnlichem Wege.“

Für mich heißt das also: kein Stillstand! Man muss an seinen Wünschen und Zielen festhalten und dafür kämpfen, dann werden sie eines Tages auch wahr werden.