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Heike Rienermann

Porträt von Pfarrerin Heike RienermannHeike Rienermann

 

Alter: 55
Beruf/aktuelle Tätigkeit: Pfarrerin in der Ev. Kirchengemeinde Bredenscheid-Sprockhövel

 

Seit dem Sommer 2015 unterstütze ich die Arbeit der Flüchtlingshilfe. Zunächst hatte ich die Idee, mit Jugendlichen aus unserer Kirchengemeinde Spiel-, Sport- und Bastelangebote in der Erstaufnahmeunterkunft in Haßlinghausen zu machen, leider hat man uns das nicht erlaubt. Stattdessen haben wir dann mit vereinten Kräften beim Umzug der Kleiderkammer nach Niedersprockhövel geholfen. Hier bekam ich den ersten Kontakt zu Ingrid, mit der ich dann im November 2015 das Café MITeinander gegründet habe. Es sind nun wahrhaftig schon über vier Jahre, in denen das Café als wöchentlicher Treffpunkt mit immer neuen Angeboten bei uns im Gemeindehaus am Perthes-Ring Integrationsarbeit leistet. Ich versuche so oft wie möglich da zu sein, sorge für den organisatorischen Rahmen (Raum, Material, Mitarbeitende) und mache auch selber Angebote (Basteln mit den Kindern, Konversationskurs für Frauen).

Ich habe zwar nie eine Patenschaft für einzelne Migrant*innen übernommen, aber dennoch haben sich hier und da intensivere Beziehungen entwickelt, weil ich einige Geflüchtete ein Stück auf ihrem Weg begleiten durfte. Zwei junge Frauen aus Persien gehören dazu, die ich getauft und später bei ihrem Gerichtsverfahren, bei Bewerbungen und ihren Umzügen begleitet habe. Besonders ans Herz gewachsen sind mir auch die fünf jungen Menschen, denen wir als Gemeinde Kirchenasyl gewährt haben, um sie vor Abschiebung zu schützen. Drei bis sechs Monate haben sie jeweils bei uns im Gemeindehaus gelebt und durften das Haus nicht verlassen, außer für ein paar Schritte in den Garten. Eine lange Zeit, in der ein kleines Team den/die Geflüchtete/n mit Lebensmitteln versorgt und sich auch um Besuche, Sprachunterricht und die gesundheitlichen Versorgung gekümmert hat.

Vielleicht liegt es an der Migrationsgeschichte meiner Großmutter, dass ich mich um Migrant*innen kümmere. Sie ist 1945 mit meiner Mutter an der Hand aus Pommern geflüchtet und hat mir als Kind die Erfahrung weitergegeben, wie es ist, alles zu verlieren und neu anfangen zu müssen. Vor allem aber liegt es an meinem Glauben und den christlichen Werten, die ich in der Bibel finde.

Im Alten Testament gibt es klare Anweisungen zum Schutz der Fremden: „Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland“ (3. Mose 19, 33+34). Und im neuen Testament verbindet sich Jesus mit den Schwachen und sagt: „Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben… Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. … Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Geschwistern, das habt ihr mir getan“ (Matthäus 25, 34-40). Kirche ereignet sich in der Begegnung. In den Fremden begegnet uns Gott und wir ihm!

Für mich persönlich kann ich sagen: Ich habe viele tolle neue Menschen kennengelernt. Zum einen sozial engagierte Sprockhöveler*innen, die sich mit Herz und Verstand einbringen und die mir in meiner kirchlichen Blase sonst vielleicht nie begegnet wären! Zum anderen so viele wunderbare, herzliche und gastfreundliche Menschen aus aller Herren Länder mit ihren berührenden Geschichten, ihrer Kultur, ihrer Religion – jede und jeder einzigartig und besonders. Für mich eine große Bereicherung! Die Flüchtlingsarbeit hat meinen Horizont erweitert und mir viele neue Perspektiven geschenkt. Ganz sicher sind meine Predigten politischer geworden: Die biblische Botschaft muss für mich konkret werden im Handeln und in der Verkündigung! Und so fließen die Geschichten der Migrant*innen in meine Predigten ein, oder ich benenne klare Positionen, die sich für mich aus der biblischen Botschaft ergeben: Seenotrettung ist kein Verbrechen, sondern Christenpflicht! Abschiebung Geflüchteter in Krisengebiete darf es nicht geben! Die Abschottung Europas widerspricht allen christlichen Werten von Menschlichkeit und Nächstenliebe! Ich schäme mich für dieses Europa, das 2012 noch den Friedensnobelpreis bekam, und frage mich, wie manche Politiker gefällte Entscheidungen mit ihrem Gewissen bzw. mit ihrem Glauben vereinbaren können.

Insgesamt kann ich sagen, dass meine Arbeit als Pfarrerin durch die Flüchtlingsarbeit einen neuen Schwerpunkt bekommen hat, der in zwei Richtungen ausstrahlt: nach außen wird Kirche wahrgenommen als Partnerin der Flüchtlingshilfe und nach innen wird unsere Gemeindearbeit bereichert durch die Vielfalt der Menschen, durch die Begegnungen im Gottesdienst oder im Gemeindehaus. Außerdem haben wir durch die vielen Diskussionen über Kirchenasyl und interkulturelle Angebote das Profil unserer Gemeinde geschärft. Nicht alle finden das gut, es gibt auch Kritik, aber ich bin sehr froh, dass so viele in der Gemeinde und auch im Presbyterium die Migrationsarbeit unterstützen.

Ich wünsche mir im Zusammenleben mit (Neu-)Zugewanderten, dass es mehr Verständnis und weniger Hürden gibt! Viele ältere Sprockhöveler*innen erzählen mir, dass sie es so viel schwerer hatten, damals nach dem Krieg, als sie als Flüchtlinge in Sprockhövel ankamen und niemand ihnen geholfen habe. Es stimmt natürlich, dass die materielle Versorgung heute viel besser ist, aber wer weiß schon, welchen Hindernissen und psychischen Belastungen die Geflüchteten oft ausgesetzt sind? Warum musste ein junger Mann nach dem Kirchenasyl sich eine 12 qm-Parzelle in der Traglufthalle mit jemandem teilen, der alles vermüllt hat, obwohl es dreißig leere Parzellen gab? Warum müssen die Geflüchteten noch immer ewig lange auf ihr Interview oder ihr Verfahren oder einen Integrationskurs warten und werden zum zermürbenden Nichtstun verdammt? Warum werden Familienzusammenführungen nicht erlaubt, Arbeitsgenehmigungen nicht erteilt? Vielen Kritiker*innen ist nicht bewusst, wie schwer der Weg der Integration ist, wenn die alte Heimat fehlt und der Wunsch, sich neu zu beheimaten, so viel Ablehnung erfährt und so unendlich viel Geduld und Mühen kostet.